Presse Artikel

Süddeutsche Zeitung
3. August 2021, 16:18 Uhr

Grünwald: Kommt ins Steuerparadies!

Ausgerechnet auf muenchen.de wirbt ein Büroanbieter für den Umzug nach Grünwald – und lockt mit der Gewerbesteuer, die „wesentlich geringer“ als in München ist. Der Oberbürgermeister reagiert zerknirscht.

Die zwei entscheidenden Punkte sind noch einmal ganz am Ende der Anzeige betont: Der Hebesatz zur Gewerbesteuer sei „hier wesentlich geringer als zum Beispiel im benachbarten München“ und „selbstverständlich ist eine Verlegung des Firmensitzes oder eine Gründung in Grünwald mit unserer Hilfe gesetzeskonform“. Der ganze Anzeigentext lässt sich auf die Botschaft verdichten: Liebe Unternehmerinnen, liebe Unternehmer, kommt aus München vor die Tore der Stadt, wir helfen Euch, lästige Steuern zu sparen. Geschaltet hat die Anzeige das Unternehmen Office-in-Grünwald GmbH auf der Internetseite „muenchen.de – Das offizielle Stadtportal“.

Als die Stadtratsfraktion von Die Linke/Die Partei auf das Inserat stieß, nahm sie das Ende Juni zum Anlass für eine Anfrage an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD): „Ist es im Sinne der Stadt München beziehungsweise des Oberbürgermeisters, dass der oben beschriebene Eintrag auf muenchen.de offensiv für Grünwald als Steuerparadies wirbt?“ lautet die erste Frage des Linken-Fraktionsvorsitzenden Stefan Jagel, und die zweite: „Ist geplant, diese Werbeanzeige in naher Zukunft von der muenchen.de-Seite zu entfernen?“

Nun liegt Jagel die Reaktion des OB vor, und sie fällt schmallippig aus. Auf die erste Frage antwortet er nur: „Nein.“ Auf die zweite erwidert er: „Ja, der Werbeeintrag des Kunden läuft zum 2.9.2021 aus und wird dann nicht mehr verlängert.“ Weiter erklärt Reiter, die Betreibergesellschaft von muenchen.de habe den Inhalt „nicht angemessen gewürdigt“, die Werbung „hätte nicht erscheinen sollen“.

Das im Landkreis München gelegene Grünwald ist schon lange nicht nur für seine hohe Villendichte bekannt, sondern auch für seinen bundesweit extrem niedrigen Gewerbesteuer-Hebesatz von 240. In München liegt der Wert, der einen Faktor angibt, mit dem die zu zahlende Steuer ermittelt wird, bei 490. Das Thema gewinnt politisch an Brisanz, da wegen der Corona-Krise die Gewerbesteuer als wichtigste Einnahmequelle eingebrochen und der Haushalt der Stadt München in eine Krise von historischem Ausmaß geraten ist. Als in der vergangenen Woche die Vollversammlung des Stadtrats über neue Regeln für den Bau von Wohnungen durch private Investoren diskutierte, sprach FDP-Stadtrat Jörg Hoffmann das Thema an: „Es ist ärgerlich, dass diese Unternehmen fast alle in Grünwald sitzen komischerweise. Und ich will gar nicht hinterfragen, ob die wirklich ihren Sitz da haben oder nur einen Briefkasten.“ Hoffmann führte aus, eigentlich müssten Investoren, die Gewerbesteuer in München zahlen, besser gestellt werden – er wisse aber, dass das rechtlich kaum umzusetzen wäre. Hoffmann, das sollte man wissen, ist Aufsichtsrat des Immobilienkonzerns Optima Aegidius mit Sitz in München.

Er betont aber, in der Sache lediglich als Stadtrat gesprochen zu haben.

Jagel nutzte seine Anfrage auch, das Thema grundsätzlich anzusprechen: wie der OB bewerte, dass „in Grünwald offensichtlich kein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum stattfindet, sondern die extrem hohen Gewerbesteuereinnahmen allein durch die Umsiedlung unzähliger Unternehmen“ entstehen. Auch hier fällt die Antwort Reiters kurz aus: Grünwald könne den Hebesatz „nach eigenem Ermessen“ festlegen, „ich bewerte grundsätzlich nicht derartige Entscheidungen von Nachbargemeinden“. Ebenso könnten Firmen ihren Standort frei wählen, „dieses Recht respektiere ich“.

Hier der Link zum Artikel:

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-gruenwald-gewerbesteuer-sparen-1.5371614